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„Wir wollen uns mit der Demenz nicht verstecken“

Wohnen in Rotthausen: APD startet viertes Demenz-WG-Projekt für 24 Betroffene in historischer Hilgenboomschule mit Autorenlesung „Ommas Glück“ – Spitzenverband der Kranken- und Pflegekassen fördert Modellvorhaben unter dem Stichwort „Wohnen, Leben, Teilhaben“ – Kooperationspartner im Quartier

Gelsenkirchen, im September 2015. Rheinelbe, Schaffrath, Sutum und jetzt Rotthausen: Die APD Ambulante Pflegedienste Gelsenkirchen GmbH, mit 290 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer der zehn größten privaten ambulanten Pflegedienste in Deutschland, hat in Gelsenkirchen-Rotthausen mit der Entwicklung eines vierten Wohnprojekts für Menschen mit besonderem Betreuungsbedarf begonnen. In der historischen Hilgenboomschule aus dem Jahr 1893 werden drei WGs für jeweils acht demenziell veränderte Frauen und Männer Platz finden. 30 neue Arbeitsplätze werden entstehen. Im Frühjahr 2016 wird das Haus unter dem Namen „Leben in Rotthausen“ eröffnet.

Den Auftakt für künftige gemeinsame Aktivitäten machte jetzt – verbunden mit einer Vorstellung des Bauvorhabens durch den APD-Geschäftsführer Claudius Hasenau – die Lesung „Ommas Glück“ mit der Autorin Chantal Louis in einem Lesezelt auf der Baustelle. Moderiert wurde der Nachmittag von Roland Weigel, Geschäftsführer des Gelsenkirchener Beratungsunternehmens KonkretConsultRuhr (KCR), das die APD seit vielen Jahren begleitet.

Ein offenes Haus

Außergewöhnlich ist der nachbarschaftliche Bezug des Wohnprojekts zum Quartier Rotthausen. „Demenz gehört mitten ins Quartier“, sagte APD-Chef Claudius Hasenau bei der Vorstellung des Vorhabens. „Wir wollen uns mit der Demenz nicht verstecken.“ Die Vereine Rotthauser Netzwerk und Generationennetz Gelsenkirchen, vertreten durch Klaus Koschei, erster Vorsitzender des Netzwerkes, und Martina Mail, Mitarbeiterin im Generationnetz, gehören seit den Anfängen zu den Kooperationspartnern vor Ort. „Ein offenes Haus braucht jemanden, der hineingeht“, so Martina Mail in ihrer Vorstellung.

Ehrlich und liebevoll

Noch ist „Wohnen in Rotthausen“ ein Rohbau, deshalb fand das erste Kennenlernen im Lesezelt statt – die APD lud zu einem frisch gezapften Pils, leckerer Rotthauser Fleischwurst und Brötchen ein. Die Spenden für die Verpflegung unterstützten den Deutschen Kinderschutzbund Gelsenkirchen. Im Zelt zeichnete Chantal Louis ein ebenso liebevolles wie ehrliches Bild vom Leben in einer Demenz-WG. „Als bei meiner Oma die Diagnose Demenz gestellt wurde, wusste ich gar nicht, dass es Wohngemeinschaften für demenziell veränderte Menschen überhaupt gibt“, verriet die gebürtige Gelsenkirchenerin zu Beginn der Lesung. Nachdem die preisgekrönte Journalistin (u. a. Emma, taz und WDR) mit ihrer Mutter eine selbstbestimmte Wohngemeinschaft in Wanne-Eickel kennengelernt hatte, entschloss sie sich, die erkrankte Großmutter aus dem Altersheim, in dem die alte Dame zuvor drei Monate gelebt hatte, in die WG umzusiedeln. „Einen größeren Kontrast kann man sich kaum vorstellen“, resümiert die heute in Köln lebende Autorin. Bei ihren regelmäßigen Besuchen in der WG habe sie viel Lustiges, Skurriles und Berührendes erlebt. Louis: „Ich bin Journalistin. Was lag da näher als ein Buch darüber zu schreiben, damit möglichst viele Leute von der Wohnform WG erfahren.“ Im März 2015 brachte der bekannte Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch das Buch „Ommas Glück“ auf den Markt, flankiert von einem Hörbuch, gelesen von der Komödiantin Gerburg Jahnke (Ex-„Misfits“). Die Veröffentlichung löste ein großes Medienecho aus. Unvergesslich ist ein Drehtermin mit einem WDR-Kamerateam. Chantal Louis: „Der Tonmann war von der warmherzigen Atmosphäre in der WG so begeistert, dass er spontan seine Mutter dort anmeldete und sagte: Das ist endlich der richtige Ort für sie.“

Zeitfenster nutzen

Noch hat „Wohnen in Rotthausen“ seine Tore nicht geöffnet, das Interesse an einem WG-Platz ist schon heute beachtlich. Für alle Plätze liegen bereits Anfragen vor. Das ist nicht überraschend, stellte Claudius Hasenau in seiner Präsentation fest. In Rotthausen leben bereits heute 2843 Menschen, die älter sind als 60 Jahre. 786 haben ihren 80. Geburtstag bereits gefeiert. Es ist davon auszugehen, dass jeder dritte Hochbetagte im Alter eine Form von Demenz entwickeln wird, die einer besonderen Betreuung bedarf, so Claudius Hasenau. Bis 2020 gestalte sich der Anstieg der Hochbetagten an der Gesamtbevölkerung Gelsenkirchens moderat, zwischen 2020 und 2030 jedoch erwarte man eine enorme Zunahme der Zahlen. Claudius Hasenau: „Wir sollten jetzt dieses Zeitfenster nutzen, um Investitionen zu tätigen und um Strukturen zu schaffen, die eine gute Versorgung demenziell veränderter Menschen in der Mitte der Gesellschaft möglich machen.“

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